Da ist das Ding!

Ich blicke durch das schlierige, bodentiefe Fenster ins Hafenbecken. Schaue auf rostende Kähne und moosige Klippen.

Und bestelle doch noch ein Bier. Mein drittes. Ein großes, schaumlos im eimerhaften Glas serviert, kaum teurer als ein kleines. Warum das so sei, frage  ich die herbweiche blonde Kellnerin.

„Because we want you to drink big ones.“ Entwaffnend isländisch.

Die Bar füllt sich, keiner der schlichten, schweren Holztische hier auf der Empore ist mehr unbesetzt.

Stimmengewirr, ein tieftöniges Gurren in diesen kryptischen Lauten.

Vier Jungs mit einer schwarzweißen Fahne, die sie über die Balustrade spannen . Echte Kanten.

„Hey. They´re coming“. Sie reden mit mir.

„Sorry?“. Ein fünfter Stuhl wird rangezogen, ich eifrig hergewunken.

Zuhause gäb´s jetzt wohl auf´s Maul von diesen grimmigen Visagen. Hier gibt´s Nachhilfe.

Isländischer Fußball. ÍB Vestmannaeyja, die Mannaschaft hier von den Westmännern, ist heute  Pokalsieger geworden. Das erste Mal seit 18 Jahren. Gegen die Fatzkes vom Festland. Hafnarfjörður, pah!

Und die Jungs kommen mit der Fähre zurück nach Hause. Jetzt.

Ob denn die Spieler alle hier leben, frage ich sie, Vestmannaeyjar sei ja nunmal nicht... so groß. Ich stammele angesichts ihres Stutzens.„Of course. They play here.“.  Sie haben keine Ahnung, was ich meine.

„C´mon mate“. Ihre Gesichter glühen, meins längst auch. Auf der Pier sammeln sich mittlerweile die Menschen in Scharen. Bunte Anoraks drängen sich an schwarz-weiße Trikots, Omas mit Rollator, rotwangige Jungen mit Blinkeäugelchen, Fischer wie aus dem Bilderbuch mit buschigen Bärten, Mütter mit Kinderkarren, an denen ÍBV-Schals hängen. Die ganze Insel scheint auf den Beinen.

„Let´s go!“, vielleicht ziehen sie mich auch. Ich bin längst mittendrin. Wir schütten unser scheißteures Bier an der Theke in Plastikbecher und stürmen raus in die klirrende Sommernachtluft.

Mittlerweile haben sie eine Stahlrohrtribüne aufgebaut, Musik dröhnt aus überdimensionierten Boxen von einer LKW-Ladefläche.  Die Feuerwehr ist auch schon da. Ein Feuerwehrmann steht auf der Drehleiter und spritzt kaltes Meerwasser in den noch kälteren Himmel. Die Fontäne glitzert im blauen Rundum-Licht.

Ich habe meine Freunde aus den Augen verloren. Irgendwann sind sie losgestürmt und ich habe sie gelassen. Sicher stehen sie an der Kaimauer. Ganz vorne, Westmänner-Ultras olé.

Ich selbst lehne mittlerweile etwas abseits an einer Backsteinmauer, beobachte das Treiben ruhig. Ich trinke langsam das kalte Bier mit weit offenen Augen, will bloß nichts verpassen.

Ein kleiner Schleppkahn kommt zwischen den schroffen Felsen der Bucht ins enge Hafenbecken.

Ein Nebelhorn. Stille. Kreischen. Tumult. „They´re coming.“ Auch ich halte meinen dampfenden Atem an.

Scheinwerfer strahlen jetzt die Fähre an, auf dem Oberdeck wirft eine Discokugel rotes Streiflicht. Menschen tummeln sich dicht an dicht, jubeln. Die Fähre wird festgemacht, der Mannschaftskapitän hoch oben reckt den Henkelpott in die Höhe. Goldene Konfettikanone, La Ola, das volle Champions-League-Programm.

Die Insel tobt selig. Schunkelt und singt mit weit offenen Mündern. Mich fröstelt.

Freddie Mercury plärrt übersteuert aus der Box. „ We are the champions“. Die Feuerwehrfontäne jetzt in hohem Bogen.

„We are the champions“. „Of the world.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Marlene BvB (Dienstag, 26 März 2019 07:38)

    Hallo lieber Thomas,
    Du hast diese wunderbare bunte Geschichte nicht nur in pfiffige Worte gefasst, Du hast gemalt, vertont und seismografisch die Island-Energie eingefangen. Das ist so kraftvoll, spannend und friedlich auf einer Insel die selig tobt mit Feuer unter der Erde.
    Danke Thomas