An der Feuerstelle

Als meine Großtante Soffie im Feuer stehen blieb und nicht verbrannte, wusste sie, dass sie würde alles überleben können. An diesem Tag entschied sie wohl, dass ihr nichts mehr etwas anhaben könne in ihrem Leben. Oder das Leben entschied das für sie. Oder es geschah einfach. Folgerichtig.

Mein Großcousin Hubert hörte schon lange diese Stimmen. Angefangen hatte es irgendwann in einem Uni- Hörsaal. Ganz plötzlich waren sie da, aus heiterem Himmel. Die krude Trennung von seiner Immer-Schon-Freundin mag Auslöser gewesen sein, die Überarbeitung im fordernden Studium oder einfach, dass er viel mehr Papakind war, als allen bewusst war, oder recht.

Zischend und drohend waren sie mit den Jahren geworden, phasenweise gedämpft und besänftigt von Medikamenten, die aber auch ihn stumpf werden ließen. Die unzähligen Aufenthalte in der Klinik, Soffie sagte dann immer, der „Jung“ – Hubert war sicher 30 – sei im „Jeckes“, hatten nichts gebracht außer Scham und Schmerz und je steigende Enttäuschungen, wenn die eh überschaubare Heilwirkung nach Wochen schon wieder nachließ. Dunkle Schlieren von Irrsinn lagen über dem kleinen Bergbauhaus, seine Bewohner darin Tag für Tag ausgeliefert in hermetischer Verbundenheit.

Hubert erhielt wohl regelmäßig Aufträge aus dem All, Verschwörungen waren dann niederzuschlagen, Katastrophen abzuwenden, Monster zu besiegen. Im Zentrum seines Furors zuletzt: Seine Mutter.

Die beiden sitzen in der Küche um den Tisch, auf dem sie ihn Jahrzehnte bekocht hatte, verhätschelt, verwöhnt. Ihre Liebe über ihn ausgeschüttet, während der Vater in sein Akkordeon versunken im Musikzimmer saß oder im Garten.

Soffie macht Spiegelei, beide Seiten drei Minuten, ein bisschen Schnittlauch, den Dotter nicht zerstört, ganz so, wie der „Jung“ es immer mochte, als er noch  sagen konnte, was er will. Als sie sich vom Herd umdreht, steht er mit dem Brotmesser vor ihr. Droht ihr still.

Ist ganz ruhig, wie Soffie später sagt und dabei so unnachahmlich heiser krächzt von all den Zigaretten, die sie „jepieft“ hatte und den eiligen  „Körnchen“ an der Theke im Wirtshaus nebenan, ihrem kleinen, feinen Luxus.

Sie stehen da, Auge in Auge. Soffie lächelt. Und heult. Und spricht nach einer unendlichen Weile:

„Jöngsje, wenn du das jetzt tun willst, dann mach. Denn dann bringt das alles eh nichts mehr“.

Und sie bleibt stehen mit diesem Blick, diesem Satz, diesem Moment. Die Zeit friert ein.

Dann sieht sie, dass sich seine Augen mit Tränen füllen und er das Messer senkt. Sie nimmt es ihm nicht ab wie im Fernsehen, er steckt es einfach zurück in den Messerblock, vorsichtig, zärtlich fast, genau an den richtigen Platz.

Als die bulligen Pfleger kommen, geht er lächelnd mit.

Als die Tür ins Schloss fällt, setzt sich Soffie zurück auf ihre Küchenbank und zündet sich eine „Lord Extra“ an, inhaliert tief und schaut in den Garten, ein zerknülltes Spitzentaschentuch fest in der rechten Faust.

Onkel Martin ist irgendwie auch da, ohne Text, verhuscht, leidend, abwesend.

„Was willst du essen?“ fragt sie ihn, den Pfannenwender schon wieder fest in der Hand.

„Jung“, schiebt sie leise nach.

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