Wenn der Zweifel kommt

Er ist gar nicht so hässlich, wie die Leute immer sagen. Ganz adrett, ein älterer Herr, eloquent, galant, ein bisschen angestaubt, aber nicht in der Weise, dass er nicht auch wunderbar in so einem altehrwürdigen Caféhaus sitzen könnte, ein Monokel im rechten Auge, die sehr dicke, sehr gewichtige Zeitung im Schoss seines Cordanzugs.

Aber, um es vorweg zu nehmen: Er kann echt,echt kacke sein.

Ein Narr, ein Meister der Projektionen und Verdrehungen, von Bigotterie und Leibfeindlichkeit zusammengesetzt, ein Lebenstheoretiker aus dem Buch ohne Bilder. Taub muss er sein, wie meine zahllosen gescheiterten Anschreiversuche mich lehrten. Oder sehr, sehr stumpf. Zudem dickfellig und in dieser Weise beredsam, die dich schwindeln lässt und wanken und schließlich den Faden verlieren, den er dann plötzlich hintergründig grinsend um seinen Zeigefinger wickelt.

Auch umsetzen scheint zwecklos oder weglaufen, das Café ist voller Spiegel und seine Visage dadurch omnipräsent, zudem scheint er den geheimen Pfad in deine Träume zu kennen.

Kurzum: Er wird wohl nicht ruhen, bis er seinen Text aufgesagt hat, auch Gebärdensprache hat das Aas gelernt und Morsezeichen, also kannst du getrost deine Finger aus den Ohren nehmen und deine Hände von den Augen.

Ich setzte mich also längst zu ihm, auf die Sofakante, in einer würdevollen Haltung, mein Gewahrsein auf die Sitzbeinhöcker und den Atem. Und lausche. Höre ihm genau zu, frage "Was noch?" oder "Wie genau?", klinge nicht mehr ironisch dabei, sondern interessiert.

Ich nehme alles ganz genau auf, schreibe es auf einen Block, den ich auf den Nierentisch lege und bedanke mich, wenn er fertig ist. Dabei den Augenkontakt haltend, das Blickeduell aber lächelnd beenden, kein High Noon zur Tea Time, bitte.

Dem drängenden Impuls einer Diskussion widerstehe ich, hier kann es manchmal hilfreich sein, ihn mir in Unterhosen vorzustellen oder mich zart ins Bein zu kneifen.

Stattdessen nehme ich die Notizen, verlasse den Ort und setze mich ans Wasser. Atme, schließe die Augen und lasse mich bewinden. Nach einer Weile, wenn die bunten Blitze hinter meinen Lidern verblasst sind, gehe ich das Protokoll Stück für Stück durch. Ich nehme die einzelnen Punkte als hilfreiche Impulse in mein Tun, denn doof ist er nicht, der alte Kamerad. Ein simples Schema hat sich dabei bewährt: Ich sortiere nach "darf ich drüber nachdenken", "muss ich mir erst noch ein bisschen übersetzen" und "(be)trifft mich nicht", den richtig destruktiven Unsinn streiche ich hingegen direkt lustvoll mit einem schwarzen Wachsmalstift durch.

In meine kleine lindgrüne Kladde schreibe ich mir dann all das, was mir in mein "nach vorne!" hilft und falte aus dem Notizzettel ein Boot, das ich lachend zu Wasser lasse und ihm nachsehe, bis es hinter der Flussbiegung verschwindet.

Ich gehe mittlerweile recht gerne zu dem Griesgram in dieses Café und nicht nur, weil sie da so hervorragenden Filterkaffee machen und nicht so eine Latte-Plörre wie in all den Hipster-Läden.     

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