Über den Wolken (begrenzte Freiheit)

Ich kann meine Augen nicht von der sehr großen dunkelhaarigen Stewardess wenden. Die weiße Bluse spannt stramm auf den muskulösen Armen während des Rettungswestenballetts, der Stoff fast transparent dabei, schwarze Muttermale sind darunter zu erahnen, auf teigig blasser Haut. Der filigrane Schlitz im leicht puffigen Ärmel macht Spagat, die dunkelblaue Feinstrumpfhose wirkt auf den starken Knien komplett deplatziert, ihr straff geknotetes gelbes Halstuch irgendwie verloren. Und sie gleich mit. 

Manchmal überkommt mich pochendes Mitgefühl für Menschen, die ich gar nicht kenne. Einfach so, aus dem Stand. Und gleichzeitig immer auch glühende Scham. Für so viel Hochmut, dafür, dass mir dies nicht zustehe, ich mich erhebe über sie, man sowas einfach nicht tue, letzteres immer mit der dröhnenden Stimme meiner Oma, schwerer rheinischer Akzent inklusive. Diese Stewardess tut mir aber einfach leid.

Ich glaube, ihre Geschichte zu kennen, wie sie in irgendeinem Balkanstaat von der großen Freiheit träumte, den Fernreisen und der weiten Welt. Wie sie den hehren Versprechungen einer windigen Online-Ausschreibung auf den Leim ging, sich Hals über Kopf bewarb, den Zweifeln ihrer Mutter energisch widersprechend.  Und dass sie jetzt grotesk überschminkt in dieser Billigflieger-Kabine steht, leicht schwitzig über den knallroten Puppenlippen und ein Lächeln aufsetzt. Staksig. Routiniert. Ihre Überanstrengung scheint mir mit Händen zu greifen, das zweitklassige Hostel, das diese Luftpiraten ihren Untergebenen sicher nur anbieten, und der Stress, den sowas bereiten muss, zeichnet kluftige Landschaften in ihr junges Gesicht, gegen die auch daumendick aufgetragenes, viel zu weißes Camouflage nichts anrichten kann.

Vermutlich meine ich sie gar nicht. Ich hätte den Flug einfach umbuchen sollen, als ich von den höchst prekären Umständen las, die diese Fluglinie ihren Mitarbeitern beschert. Davon, dass Arbeitsschutz dort eher ein Gangway-Witz ist und mittlerweile nur noch südosteuropäisches Personal beschäftigt würde, die zugreifen, weil Alternativen fehlen, oder Perspektiven.  

Aber so konsequent bin ich selten, oder einfach zu bequem, die pochende irrationale Sorge von finanziellem Ruin bei der Buchung bei deutlich teureren Mitbewerbern immer im Untergrund gleich mit im Gepäck. Direkt daneben die Panik, die Unentspanntheit, die mich vorgestern hochschrecken ließ aus meinem schottischen Bett, durchkalkulieren, ob ich meine Habseligkeiten ohne immense Zubuchungspreise wieder mit nach Hause bekomme angesichts strikterer Bedingungen als auf dem Hinflug mit einem Konkurrenten. Natürlich entschied ich mich zum Upgrade, hastig ins Handy gehackt,  nachts um zwei, in die umständliche Bordkarten-App, mit steifem Nacken und klammen Händen.

Ich fühle mich immer noch uncool bis aufs Blut, wie ich dann in der einen Schlange stehe, Priority, zuerst einsteigen darf, während das nicht-priorisierte Fußvolk, neun Pfund Sterling trennen uns, von der anderen Schlange aus zusieht, ihnen ihr Handgepäck abgenommen wird, einfach um den Unterscheid zu manifestieren, was ulkig anmutet und albern, vor allem, da meine Tasche dann im gähnend leeren Gepäckfach über mir durch die Gegend purzeln wird während des Fluges.

Eine Frau ruft mir zu - das tut sie wirklich! – ob sie Menschen zweiter Klasse seien und rollt die Augen dabei und da sind sie sofort wieder, meine Oma und die Scham und ich steige schon schwer genervt in den Flieger. Genervt von Fliegen als hässlichem Reisen, vom Kapitalismus, dem"System" und seiner maßlosen Unästhetik, gerne denke ich es dann groß und mich klein und leicht außenstehend, im feinsten Sinne unbeteiligt. Vor allem aber, das weiß ich, na klar, bin ich genervt von mir selbst und davon, dass ich wieder mal meiner Angst zugehört habe statt zu vertrauen oder es einfach mal laufen zu lassen.

Ich kauere mich in meinen Sitz am Gang, verbuddele mich in mein Buch während der gesamten eingeschweißten Plastik-Schlacht. Speisen, Getränke, Geschmeide, Müll, ich lese! Als sie dann auch noch Rubbellose verkaufen, Millionengewinne anpreisen, strauchele ich kurz und sehe auf. Ausgerechnet sie steht da vorne, ihr Gesicht versteckt hinter einem Fächer aus quietschbunten Losen, den Hörer des Kabinentelefons dahinter wie einen Schnabel waagerecht abgespreizt. Ein Commercial Peacock. Ich muss tatsächlich dreimal hinhören.

Sie. Verkauft. Rubellose.

Und sagt Text auf mit ihrem harten Akzent, irgendwie sehr bigotten Text, dass auch noch die formidable Kinderschutzorganisation der Fluglinie unterstützt, etwas sehr Gutes, sehr Wichtiges getan werde, schließlich, dass jeder ein Gewinner sei. Unsere Blicke begegnen sich kurz, ich kann nur leise und blöd lächeln, was sie erwidert. Alles ist voller Peinlichkeit in diesem Moment. Es kann sein, dass es nur meine ist. Niemand kauft Lose.

Ich verlasse die Maschine zügig nach der Ankunft, es wird tatsächlich ein fanfarenartiger Werbe-Jingle gespielt dabei, in Endlosschleife. Sie steht am Ausgang. Ich stoppe kurz ab, schaue noch mal zu ihr hin. Wir verabschieden uns, mein gemurmeltes „Thank you. Bye“ in Wirklichkeit eher ein „I´m sorry“, bei dem ich längst nicht mehr weiß, was ich damit meine. Oder wen.

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