Schöner Scheitern

Ich sitze zwischen den beiden in diesem kleinen Amphitheater. Wir haben uns eine Weile durch das pralle Mauerpark- Leben hierher treiben lassen, von der ersten Sonne, die Kraft hat und den Schnee vergessen lässt, der hier noch vorgestern in den Straßen wehte und den man noch schmecken kann in schattigen Ecken oder stillen Momenten, die aber gerade selten sind. Eine schwirrende Menschenmasse, die den Frühling inhaliert, jeden Sonnenstrahl hastig auszuquetschen scheint und in der alle irgendwas mampfen, schlürfen, grabbeln,  als vertreibe so viel ausgestellte Lebenslust den Winter vollends. 

Wir essen Waffeln und freuen uns, dass da Programm ist auf der runden Bühne da unten, wir so einfach zuschauen und es irgendwie finden können. Sie kenne ich ewig, ihn erst seit eben und wir fremdeln noch, sind freundlich dabei, finden uns wohl sympathisch. Die Steinstufen sind noch nicht warm, eine Ahnung von Nierenbeckenentzündung steigt sofort in mir hoch und ich bin total ärgerlich, dass mir Leichtigkeit gerade schwer fällt.

Der hagere britische Entfesselungskünstler kriegt mich sofort mit seinem wundervollen Akzent und seinem linkischen John Cleese- Gehabe. Seine Show hingegen schnürt mir die Kehle zu, wie er einen Luftballon verschlingt,  sich an einer Kette ums Genick durch den Ring führen lässt wie ein wildes Tier und sich mit irrwitzigen Verrenkungen aus einer Zwangsjacke windet und ich immer auf Knackgeräusche warte oder Blauanlaufen. Auf jeden Fall darauf, dass es aufhört.

Ich bin zwischendurch dankbar für die Hare- Krishna- Jünger, die  singend durch den Hintergrund  ziehen und unser Gekicher, ein Abschweifen.

Mich schauderts von so viel Unfreiheit und Kampf, sein Ringen geht mich seltsam an. Ich kann mich nicht lösen, rutsche, wippe, schaue weg und auch sein vielleicht wirklich ulkiges entfesseltes Finale im Tütü kann mich längst nicht mehr beruhigen. Und  dann ist es nach dem Schwanensee abrupt vorbei und der Mann packt seine Sachen konzentriert und nüchtern zusammen und wird morgen wieder unversehrt  vor Schülern stehen können. Denn ohne Zwangsjacke ist er irgendwie der Typ Englischlehrer an einer internationalen Schule, Kleider machen Leute. Wir grinsen. Er geht. Die Beklommenheit bleibt.

Mittlerweile haben sich drei Muskelpakete in Stellung gebracht. Stretching, Muskelpumpen, Knöchelknacken, das volle Programm. Ihre athletischen Körper und brutalen Visagen lassen mich Schlimmstes vermuten. Zudem fette Boxen, ich erwarte Brachial- Breakdance mit peinlicher Ghettoattitüde und bin aus dem Häuschen, als sie mit weichen Backstreet Boys- Bewegungen starten, herrlich selbstironisch sind dabei und dennoch extrem präzise. Rhythmisch auf den Punkt. Geschmeidig finde ich sie und wahnsinnig sympathisch, und mich doof verstockt in meinen Schubladen und so froh darüber, dass diese mal wieder nicht aufgehen.

Die Jungs liefern riesig ab. Das Publikum haben sie schnell im Griff,  lächeln, schäkern, maulen. Viel Zartheit in dem unfassbaren Kraftgestrotze. Tanz, Leichtigkeit, nicht nur halsbrecherisches Turnen auf dem Kopfsteinpflaster. Wir haben den Kleinsten ins Herz geschlossen. Vielleicht 20, Kleinkindgesicht, aber ein einziger großer Muskel, bis unter die Augenbrauen voller Adrenalin, das so gar nicht aus den Adern will, auch nicht, als die anderen beiden längst routiniert ihr Zeug zusammen packen, mit großen Gesten den Abgang vorbereiten.

Der Junge kann noch nicht gehen, wippt  von einem Bein aufs andere, muss immer wieder Kunststücke machen, Salto, Spagat, Liegestütze und reißt sich das Shirt vom He- Man- Leib, um es sofort danach wieder anzuziehen. Längst schaut ihm keiner mehr zu. Er ist ganz bei sich, noch nicht fertig, noch nicht leergespielt und wir fühlen mit seinem Bühnen- Kater und vermuten, dass er noch stundenlang durch die Stadt tigern muss, Dosen kicken oder gleich irgendwann einfach so in Tränen ausbricht, beim Döner vielleicht oder einem Glas Milch.

Aber seine Kumpel  kennen das wohl, ziehen ihn einfach mit und weg sind sie.

Ein umtriebiger Roma- Mann verkauft mir ein Bier aus einem Kasten, den er lässig mit einem bunten Riemen um die Schulter hängen hat. Ich trinke das Berliner Kindl aus der großen, bauchigen Halbliter- Flasche, halte mich an ihr fest und blinzle hinter meiner Sonnenbrille, komme langsam runter und an und  genieße das kunterbunt- selbstgefällige Getue hier und unser Zusammensein sehr. Schweigend. Das Bier schmeckt großartig, nach Sonne und Zeit- und Planlosigkeit.

Der nächste Künstler steht in der Zwischenzeit bereit, klein, unrasiert, lange schwarze Haare, Schlapphut. Er trägt eine Plusterhose mit Hosenträgern und ein zu großes Sakko. Seine Schuhe sind staubig und ausgetreten, seine Box spielt leiernden Klezmer in Endlosschleife und er steht einfach auf einem umständlich positionierten klapprigen Stuhl und schaut ruhig in das Publikum.

Eine lange Weile steht er da. Und tut. Nichts. Zieht nur die Schultern leicht hoch. Die Augenbrauen. Und schaut. Der Stuhl wackelt bei der kleinsten Bewegung, er droht das Gleichgewicht zu verlieren, rudert mit den Armen. Aber er fällt nicht.  Bleibt stehen.

Da bin ich schon längst drin.

Seine leise Ernsthaftigkeit haut mich um, ich versinke in seinem Programm, von dem ich kaum noch sagen kann, was er da so macht. Ein bisschen Zaubern,  Pantomime, Jonglage, auch Luftballontiere kommen irgendwie vor. Der Mann hat eine große Fingerfertigkeit, ist ausdrucksstark und sicher in dem, was er da tut.

Aber reinziehen tut mich, dass er alles mit so tiefer Inbrunst, mit einer derart entschiedenen Widmung tut. Und dabei unentwegt scheitert. Und stets neu probiert. Er ist der traurige Tramp, der die Katastrophen des Lebens immer nur knapp vermeidet, wenn überhaupt, und der tapfer, vielleicht auch blauäugig, aber wohl vor allem mutig immer wieder anrennt. Es einfach weiter versucht. Wohl an irgendetwas glaubt dabei, am ehesten an sich selbst. Es ist zwischendurch mucksmäuschenstill im Publikum. Wenn er Seile verknotet, die nicht halten, wenn ihm Dinge hinfallen, Zaubergegenstände nicht verschwinden oder ihm die assistierenden Kinder weglaufen, lachen alle kurz auf.

Ja, nichts davon ist neu oder sonderlich originell und alles Teil der Show, das ist mir auch währenddessen klar, glaube ich. Nur spielt das keine Rolle. Er erzählt diese Geschichte endloser Neuanfänge und der Schönheit des Scheiterns mit einer derartigen Konsequenz, in achtsamer Konzentriertheit, dass es mich durchrüttelt. Und darunter liegt die echte Bereitschaft des Künstlers, zu scheitern, sie ist spürbar. Sie trägt sein Programm, gibt ihm die Ästhetik, die Intensität und die Kraft.

Natürlich gelingt ihm letztlich immer alles, jede Pointe sitzt, es geht gut aus an all diesen Enden. Die heitere Melancholie berührt die Leute, das Happy End erleichtert sie, der Applaus ist riesig. Ich klatsche wie wild mit klopfendem Herzen.

 

Die Show ist vorbei und wir zügig raus, wir lassen uns vom Frühling durch die Stadt treiben, laufen lange ziellos miteinander durch die wimmelnden Straßen. Jetzt nur noch noch zu zweit, er ist nach Hause gegangen. Wir erzählen uns unsere Geschichten, sind offen und vertraut. Vor einem gemütlichen Café sitzen wir gemeinsam in der Sonne, seufzen und grübeln über das Eingemachte, sind wackelig und angeraut. Das Essen kommt, bevor wir knatschig werden können. Wir quatschen noch eine ganze Weile, sind viel in der Zukunft, voller Pläne und Ideen. Auch Ängste sind da, Sorgen. Und Zuversicht. Lust auf das, was kommt. Unsere Wangen glühen.

Die Teller sind leer, es war köstlich, die genau richtige Portion. Irgendwann später stehen wir auf und gehen. Einfach weiter.

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