Gefährten

Ich komme komplett gerädert am Campingplatz von Vogar an, Widerstand macht sich in mir breit, als ich links abbiege und vor der Rezeptions- Bretterbude mit den Sperrholzmöbeln und dem welligen Linoleumboden halte, die gleichzeitig eine Pizzeria ist, zumindest eine sein soll. Ich will eigentlich sofort weiter, dieser Ort ist grau auf den ersten Blick, alles wirkt irgendwie vorläufig und in dem Sinne einfach, wie sich Reiseführer scheuen, aufrichtig in die Schäbigkeit zu blicken. Aber ich bin schlichtweg zu platt, überreizt, in mir klickert diese Mischung aus albernem Irrsinn und Traurigkeit, ich bin drüber, ruhebedürftig und durch, mindestens mit dem Tag. Also mache ich es von dem Mädchen am Schalter abhängig, hoffe auf ihre Loyalität, dass sie einen unverschämten Preis verlangt, wir sind ja schließlich in Island, und ich die Leere mit Empörung füllen kann, wutschnaubend wenden und davonbrausen. Sie nennt eine absurd niedrige Summe, ist so unkompliziert und kühl- freundlich, wie diese Menschen auf der ganzen Reise eben sind.

Und so bleibe ich und treffe damit eine goldrichtige Entscheidung.

Der Zeltplatz ist eine freie hügelige Wiese, keine Parzellen, keine ausgewiesenen Bereiche, nicht mal eine Ordnung ist zu erkennen, „nimm den Platz, der sich gut anfühlt“, so das Mädchen und ich mache mich erstmal auf die Suche. Vor allem wohl nach meinem Gefühl.

Ich baue mein Zelt nach einigem Kreisen zwischen zwei Kleinwagen auf, mir grauts vor diesen riesigen Campern und bulligen Pickups, vor der Familienwucht, dem ausgestellten Miteinander, das ich in ihnen vermute. Immerhin scheine ich zu wissen, was sich nicht gut anfühlt.

Zwei Damen mittleren Alters sitzen rechts neben mir im Kofferraum, falten umständlich eine große Straßenkarte und trinken Dosenbier. Französinnen. Ich will das Nichtbeachtungsspiel spielen, dieses Augenwinkeldings, will auch hier bloß keine Hilfe bei meinem Zeltaufbau, "ich schaff´ das schon alleine".

Und vor allem will meine Ruhe, was nach einem Tag alleine im Auto nicht ohne Ironie ist.

Aber sie spielen nicht mit, stehen plötzlich da, "Bon Soir", die Tüte mit einer kunterbunten Dosenmischung in der Hand, ich habe freie Auswahl. Und greife zu. Steige also aus dem Spiel aus, verlasse meinen Grantigkeitskokon, bin ärgerlich darüber und heilfroh und schon sitzen wir da zu dritt im Kofferraum. Sie sind andersrum unterwegs auf dem Ring und wir geben uns Ratschläge, wie man das eben so macht und strahlen und schwärmen und schäkern und es ist uns dabei wundervoll egal, dass ihr Englisch katastrophaler ist als mein Französisch.

Sie brechen nach einer Weile auf, wohl, um noch etwas essen zu gehen, ich verstehe sie nicht so recht. Ein warmes „Au revoir“. Als ich mich am Morgen aus dem Zelt schäle, sind sie fort, ich liebe sie, diese nichtanhaftende Herzlichkeit auf meiner Reise.

In meinem Rücken sitzt ein Paar vor seinem Zelt und seinem Sehr- Kleinwagen, wohl jünger als ich, er sympathisch brummig mit üppigem Ziegenbart, sie mit großem, hellem Gesicht. Sie scheinen fortgeschrittene Camper: Zelt, Kocher, Karte, topausgerüstet.

Die beiden sprechen. Deutsch. Also bayrisch…

 „Och nö“, denke ich, da stehe ich schon vor ihnen und nutze den schnellsten Einstieg in ein Gespräch, den die Ringstraße zu bieten hat: sich selbst. „Macht ihr auch den Ring?“ Oder so.

Machen sie. W. und J. sind in derselben Richtung unterwegs wie ich, mit der Uhr, sind auch Pfadfinder und Kilometerfresser, wir alle drei schon jetzt vollkommen infiziert mit diesem Island- Virus, alles „unglaublich“, „der Hammer“, „krass“, weil uns nichts anderes einfällt und weil es auch stimmt.

Wir lachen und prahlen, ulken und beratschlagen. Ich soll die Ostfjorde nicht verpassen, sie dafür nicht den Dettifoss. Ein wunderbares Quartett der Geheimtipperei, Lonely Planet sticht Iwanowski, erstaunlich schnell hört das Überbieten auf, ich glaube, wir mögen uns sofort.

Sie reichen mir eine Dose isländisches Light- Bier. Ich nehme dankend an und bleibe, lehne das selbstgekochte Essen echt nur ab, weil ich mich mit Broten und Keksen während der Fahrt vollgestopft habe. Pausenlos. 

Es ist, glaube ich, das letzte Mal, dass ich Köstlichkeiten von W. verschmähe, er ist Koch in einer Schule und für ihn ist das hier ein Gourmettrip, er ist neugierig und kann ansteckend strahlen, wenn er voller Genuss von Fohlenfleisch oder Walsteak spricht.

Schon morgens wird es im ulkigen Frühstückszelt sauleckeren brühfrischen Espresso geben, sie scheinen an alles gedacht zu haben. Ich spüle zum Ausgleich, meine Bierschulden, die in den folgenden Tagen noch anwachsen werden, mache ich erst wieder gut, als wir uns in meiner Heimatstadt treffen am Tag ihrer Rückkehr.

Life of Agony spielt, die Karten haben die beiden weit vor der Reise gebucht und sie werden ein wenig aussehen, als seien sie aus einem Abenteuerfilm gefallen, wie sie da sitzen, schwer übernächtigt und in Funktionskleidung, das letzte halbwegs Frische aus dem Koffer, fast 750km von zu Hause, in meiner Lieblingsbar. Ich finde Derartiges da schon längst nicht mehr verrückt.

Wir sitzen also vor ihrem Zelt, ich auf W.´s Alukissen, sicher zwei Stunden, J. lacht laut und redet viel, ihre rotblonden Locken schüttelt sie dabei unter ihrer Mütze und ist hochansteckend mit so viel Freundlichkeit, die aus ihr rausrollt wie das „R“, das jedes Mal warm brummt.

W. ist viel, viel ruhiger. Wenn er spricht, werde ich still. Es ist etwas Spannendes an ihm, ein Geheimnis vielleicht, das ich nicht rausfinden werde, immer nur eine Tiefe spüre, eine Schwere, aber auch nicht nachhake, das gar nicht will. Sie ist immer Fahrerin, er Beifahrer. Immer. Und Fotograf. Seine Spezialität sind Schafe, zu denen er die steile These aufstellt, dass sie in Island immer in Gruppen zu dritt auftauchen, was sich schwerlich widerlegen lässt.

Wir sind albern und froh und schnell vertraut, werden uns in den kommenden Tagen oft wieder treffen, dies jedoch niemals planen. Mit einer Ausnahme, im Süden, wo ich am Skogarfell nicht bleiben will und W. mir die Adresse des winzigen Campingplatz smst, auf dem sie sind und sie mich köstlich bekochen, mir wieder Bier geben, sich ein Regenbogen über die Zelte spannt und ich nur knapp nicht heule.

Wir sind längst Gefährten des Rings, schon an diesem ersten Abend und doch lassen wir uns unsere eigene Reise, fahren nie gemeinsam, sind vorsichtig und achtsam. Wenn wir uns dann wiedersehen, gibt es stets ein großes Hallo und viel zu erzählen.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen bauen sie ihr Zelt ab, falten es feucht in den winzigen Kofferraum, es hat leicht geregnet. Ich bleibe. Habe beschlossen, einen Tag Ruhe einzulegen, hier, am Myvatn- See. Genug gehetzt, dieser Platz hier ist ein guter, da bin ich mir längst sicher. Wir verabschieden uns herzlich und dann sind sie weg und ich wieder alleine.

Mein Zelt wird im Wind trocknen und es in der folgenden Nacht nicht regnen. Hinter dem Zelt grasen Schafe. Es sind natürlich drei. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Julia (Donnerstag, 01 Februar 2018 11:45)

    Mein lieber Reisegefährte,
    Herzlichen Dank für das mich herzlich Lachen und Tränen verdrücken lassen.
    Es war mir/uns ein Vergnügen diese wundervollen Erinnerungen mit dir teilen zu dürfen.
    Ps: Tour mit Mutti in den malayischen Dschungel ist geplant, falls du Lust hast auf extrem skurrile Reiseerinnerungen �