Einmal Mond und zurück

Nach einigem Warten haue ich schließlich doch mit der Faust auf die Hupe, höre sie dabei zum ersten Mal und erschrecke selbst ein wenig. Nicht aber meine wolligen Freunde da direkt vor meiner Motorhaube: Die drei Schafe stehen weiter in aller Seelenruhe mitten auf der Piste, strecken mir ihren buschigen Hintern entgegen und fressen… Ja, was fressen sie da eigentlich? Gras kann es nicht sein, denn soweit ich blicken kann wächst hier einfach nichts. Ödland, Geröllwüste, seit fast einer Stunde ruckelt diese Fototapete in anthrazit und beige an mir vorbei, meine anfänglich riesige Faszination für dieses urzeitliche Maß an Unwirtlichkeit ist längst einer profunden Genervtheit gewichen. 

Ich bin auf dem Weg zum Dettifoss, irgend ein Narr hat behauptet, hier auf dem Mond gäbe es nicht nur doch Wasser, sondern sogar einen Wasserfall, einen riesigen noch dazu. Das muss ich sehen. 

Mein Tacho sagt mir, dass ich in dieser Zeit unfassbare ACHTZEHN KILOMETER zurückgelegt habe. In mir pocht stetig wachsende Überforderung und die Sorge, das hier doch nicht so gut entschieden zu haben und die restlichen 25 km einfach nicht mehr hinzubekommen. Nur 43 km auf einer in der Karte als „Nebenstraße“ deklarierten Strecke, der Reiseführer hatte lapidar von „vielen Schlaglöchern“  gesprochen und davon, dass das eben seine Zeit brauche und ich musste an die Feldwege denken in meiner Kindheit. Also nix wie rein da. Seither: Schrittgeschwindigkeit, schleifende Kupplung, Riesenslalom um sicher knietiefe Furten und vom Unterboden her ein ununterbrochenes Gefühl wie Hagelschauer oder Stalinorgel. Meine Hüfte schmerzt vom Schenkeldruck, als reite ich ein störrisches Pferd über diese Piste.

Ab und zu kommt mir ein Wagen entgegen in dieser Enge, immer größer, wuchtiger, hochlandtauglicher. Für mich jedesmal der Super- Gau, der andere bremst nicht, zieht voll durch, während ich an den rechten Rand rolle und den schmerzhaften Rosenkranz bete, das Klappern der Einschläge seiner aufspritzenden Kiesel auf meinem Lack demütig erduldend.

Ich bin maximal unentspannt, es ist meine erste Schotterpistenerfahrung. Im Laufe der nächsten Tage werde ich lernen, dass es total richtig ist, mit höherer Geschwindigkeit über diese Pisten zu fahren, die es hier überall gibt. Ich kapiere das physikalisch nicht, aber es ist definitiv so, die Steine scheinen nicht schnell genug zu sein für das dahin bretternde Auto und verpassen es dann. Oder so. Irgendwann ertappe ich mich dabei, wie ich die Geschwindigkeit fahre, die auf den Schildern steht und habe das wohlige Gefühl, angekommen zu sein.

Jetzt aber sitze ich hier, weiß gar nicht, ob mich die Verkrampfung meines Kreuzbeins mehr schmerzt, der Ärger, mit meinem kleinen Kia Rio am falschen Ende gespart zu haben oder die panisch wachsende Gewissheit, dass jeder weitere Einschlag meinen Ruin bedeuten könne. Ich gehe in Gedanken das Kleingedruckte meiner Gravel- Versicherung durch, das ich natürlich nicht gelesen habe, wie auch das Großgedruckte nicht. Mir reichte ja das fette Schlagwort „Safety“ voll und ganz, um bei der netten Isländerin (die gar keine Dottir hatte auf ihrem Schild,  eher irgendwas vielleicht albanisch Klingendes) mein vermutlich eh schon preußisch überversichertes Service- Paket noch mal eine Stufe upzugraden.

Komplettpaket, koste es, was es wolle, es lebe die Sicherheit, es lebe die Angst!

Die Schafe scheinen da doch tatsächlich anpassungsfähiger als ich zu sein oder genügsamer oder einfallsreicher, jedenfalls finden sie zwischen all dem Mondgestein tatsächlich etwas Essbares und sind in ihrer konzentrierten Gefräßigkeit voll im Moment. Ich steige dann doch aus, mache bei laufendem Motor „sch sch“, „huh huh“ und mich dabei so richtig zum Affen, will weiter, endlich da durch, das hier endlich hinter mir haben.

Die Schafe fressen ungerührt. Schließlich schalte ich den Wagen aus, fotografiere die drei, irgendwie aus Notwehr, setze mich wieder hinters Steuer und tue es ihnen gleich, esse erstmal einen Apfel. Und atme tief durch, die Fahrertür offen. Irgendwann trotten die Schafe unvermittelt weiter, einfach so, gemütlich, ihre Köpfe weiter gesenkt, wohl unverändert auf Nahrungssuche. Ich glaube, sie haben mich und mein Gehampel nicht einmal bemerkt.

Ich knalle die Tür zu, schmeiße meine Apfelkitsche achtlos in den Fußraum und setze meine Rumpelfahrt verdattert fort.

Als ich den Wagen acht Tage später in Reykjavik abgebe, schwitze ich beim abschließenden Rundgang der Albano- Isländerin um mein geschundenes Auto. Sie inspiziert die Macken mit ausgestellter Langeweile, zögert einmal kurz, bückt sich, schaut genauer hin und entfernt mit einem routinierten Kratzen ihrer überlangen Gelnägel in blassrosé ein winziges Stück Mondgestein von der Seitentür. Schweigend geht sie in den Bürocontainer und unterschreibt das Übergabeprotokoll.

„Okay“, sagt sie. Und: „Bye.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Veronika-Katharina (Mittwoch, 22 November 2017 11:51)

    Herrlich beschriebene Situation! Also, Island zum Entschleunigen - für uns Bewohner aus NRW eine harte Prüfung.
    Die Fahrerei über die Buckelpisten wäre für mich eine Herausforderung par excellence gewesen, die ich doch schon Panik, Schweissausbrüche und Schnappatmung bekomme, wenn ich als Beifahrerin durch Hamburg gefahren werde.
    Also doch lieber mit dem Fahrrad durch mein Heimatdorf zum Supermarkt. Landei bleibt Landei !