In der Rauchbucht - Sólin hitar jörðina*

In der Küche steht Donald und kocht Kaffee. Donald ist aus „den Staaten“- die Leute verwenden diese seltsame Formulierung tatsächlich- und Donald ist 78. Als er sich für seinen Vornamen entschuldigt, haben wir uns wohl schon still zum Frühstück verabredet. Donald ist neben scheinbar vielem Anderen Schriftsteller, sieht auch ein wenig aus wie Hemingway und kommt gerade von seiner fünften Documenta. Wir quatschen sicher eine Stunde über Kunst, Politik, die verrückte Welt und ein kleines bisschen über uns. Ich esse Käsebrot aus dem mittleren Fach und Gemeinschaftscornflakes und Donalds weiser Redeschwall entspannt mich derart, dass ich sogar die vorwurfsvollen Blicke einer sehr großen, sehr blonden, sehr stillen jungen Mitbewohnerin ignorieren kann, die die Küche betritt und auf mein Brot starrt. Vielleicht habe ich Bjorg doch nicht so recht zugehört bei ihrer Kühlschrankführung...

Die Riesin wird sich mir nicht vorstellen, ich ein weiteres Brot essen. Donald kocht noch einen Kaffee, ich spüle ab. Deal.

Auf dem Spaziergang in die Stadt wird mir rasch klar, dass heute eher nichts Städtisches dran ist, ich keine Lust habe auf einen weiteren Besichtigungsoverkill. Ich will in die Natur und finde in meinem Reiseführer Viđey, eine winzige Insel, die etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt, ein Felsenkleks, nur  wenige Meter vor der Küste. Inseln kriegen mich sofort, immer, sind gleichermaßen frei und begrenzt, autarke Zu- Fluchtsorte. Also nix wie ab nach Viđey.

Die Sonne scheint, als ich mich auf einer schnurgeraden Straße abwärts zum Meer treiben lasse, einige Male auf eine der zahlreichen Verkehrsinseln wechsele, um die wundervollen symmetrischen Straßenschluchten zu fotografieren. Häuser zwischen Playmobil- Westernstadt und Plattenbau, die in ihrer ruppigen Mischung und ihrer Überschaubarkeit ein warmes Gefühl in mir hinterlassen.

In einer Querstraße finde ich einen Supermarkt, Bonus, Name und Logo- ein pinkes grinsendes Schwein, in das eine Münze gesteckt wird- stoßen mich zwar ab, aber das vertraute Sortiment und vor allem die schnell reifende Erkenntnis, dass angesichts der Preise hier meine Reise doch gar nicht ruinös verlaufen muss, beruhigen mich. Ich kaufe mir zwei Bananen und Kekse, eine super freundliche Einheimische hilft mir dabei recht ungefragt durch die randvollen Reihen und ich lasse mich auf ihr "My home is my supermarket"- Getue gerne ein. Vor allem aber kaufe ich mir eine große Flasche Sonnenmilch. Der Gedanke, dass ausgerechnet dies das erste ist, was ich mir in Reykjavik kaufe, lässt mich überhaupt nicht los und ich grinse breit, als ich mich noch auf dem Supermarktparkplatz großflächig eincreme.

Ich schlendere eine Weile entlang der Sæbraut, diesem vierspurigen, aber mäßig befahrenen Boulevard parallel zum Meer mit dem herrlichen Namen, besichtige kurz das vollkommen unscheinbare kleine weiße Holzhäuschen, in dem 1986 die Welt gerettet wurde. Ich bin hin und weg von so viel Einfachheit und sicher, dass Reagan und Gorbatschow hier wohl gar nicht anders konnten, als den Griff ein bisschen lockerer zu lassen und lieber schweigend gemeinsam aufs Meer zu glotzen. 

An der Sólfariđ, der dramatischen Skulptur eines eisernen Wikingerschiff- Skeletts, reihe ich mich in die zahlreichen Touristen ein und beobachte sie geduldig, wie sie hier ein schönes Andenken knipsen wollen, erstaunt, wie einfallsreich man sein kann zwischen Selfiesticks und großen Gesten. Ich sitze da auf den steinernen Stufen, meine Sonnenbrille auf und meine Mütze, halte meine gut eingecremte Nase in den Wind und genieße meine eigene Sonnenfahrt, bevor ich auch ein Foto schieße und nach Hause schicke. "Kann man so machen" schreibe ich dazu. Allerdings.

Schließlich erreiche ich nach sicher einer weiteren halben Stunde Spaziergang den kleinen Hafen, der im Wesentlichen aus einem winzigen Becken und einem kioskartigen Bretterverschlag besteht. Am Ende der langen Kaimauer steht ein kleiner knallgelber Leuchtturm  auf einem grob gemauerten Halbrund. Der hier draußen ziemlich kräftige Wind bläst energisch die große rotweiße Windhose über das spitze Dach des Leuchtturms, der mich an eine Espressokanne erinnert. Das Ganze wirkt irgendwie comicartig und wunderschön, eingerahmt von den schroffen Felsen der Südseite Viđeys, die hier zum Greifen nah scheint.

Das kleine weißblaue Boot liegt schon bereit, der Motor knattert unrund und erst jetzt bemerke ich, dass am Anleger gegenüber ein riesiges Kriegsschiff festgemacht hat. Ein ulkiges Bild, ein Mofa und ein Panzer und irgendwie fallen mir wieder Michail und Ronald ein und natürlich auch Donald, allerdings nicht der aus der Küche.

Das gelangweilte Mädchen an der Kasse in der Bude sieht mit ihren doppeldaumendicken Kajalstrichen und ihren pinken Haaren wie ein Grufti aus, die zwei kantigen Jungs, die auf dem Boot schon auf uns warten, wie Wikinger, Eisenbieger oder Auftragskiller. Wunderbar.

Am Ende der sehr schmalen Gangway steht eine Familie, die Eltern, beide jenseits der 70, windzersauste schlohweiße Haare, offene, braune Gesichter, der Sohn, sehr hager und seltsam verknotet in einem sperrigen Rollstuhl liegend, mit zu großer Mütze und undurchsichtiger Sonnenbrille, den Blick mit verdrehtem Kopf zum Himmel. Er ist wohl in meinem Alter.

Mit ihren freundliche Augen reden die Alten ruhig, aber sehr bestimmt auf die beiden Matrosen ein. Sie wollen rüber, natürlich zu dritt. Der Rollstuhl ist aber viel zu breit für die hölzerne Einstiegstreppe. Einer der Jungs übernimmt jetzt das Kommando, längst habe ich meinen Rucksack an Deck geworfen. Mit fünf Mann wuchten wir das riesige Ding auf die Fähre, ich packe irgendwo hinten mit an und vielleicht ists überflüssig bei all diesen starken Isländern um mich rum- es sind längst noch zwei Reisende ohne viel Aufhebens von oben runtergeklettert- und dennoch komme ich mir verbunden vor und richtig.  

Ich setze mich nach ganz vorne an die Spitze des Bootes, das gleichmäßig auf die Wellen klatscht, fotografiere gut eingepackt in Jacke und Mütze das zu schnell näherkommende Inselchen unzählige Male durch das Netz am Bug. Ein Daumenkino, ich bin in Bewegung und will das festhalten.  

Viđey ist der Wahnsinn: Ruhe, Natur ,genau ein Häuschen steht am Fuße eines Grashügels, direkt neben der kleine weißen Kirche, die wie mit Kreide gemalt aussieht. Die isländische Flagge knattert am weißen Fahnenmast, sonst: Nichts.

Ich laufe los und muss mich anfangs noch zwingen, hier zu sein und nicht nur an das nächste Motiv meines Island- Dia- Abends zu denken, die es hier reihenweise gibt. Dann komme ich irgendwann an, es passiert einfach, ich lass mich auf die Schlichtheit ein, die Purheit. Die Sonne, die Möwen, das allgegenwärtige Grün der Wiesen, die geschwungenen Vulkanfelsen der Steilküste mit ihren zahlreichen schwarzen Buchten, in die das dunkelblaue Meer geräuschlos rein und wieder rausfließt. All das berührt mich, ich schalte runter, spüre die Wärme der Kiesel unter mir, als ich mich endlich mal setze in eine Ruhe, eine Pause, mich kurz sattgesehen habe und innehalte. Ich betrachte die gläsernen Türme der Stadt in der Ferne, wie sie in der Sonne glitzern, bin wohlwollend und. Da.

Ich verbringe noch einige Zeit auf Viđey, finde einen Wegweiser ausgerechnet nach Santiago de Compostela, sitze eine Weile still in der wunderschönen Holzkirche und verweile lange an Yoko Onos Denkmal für den Frieden und ihren John.

Am Ende trinke ich einen sensationellen Capucchino auf der Terrasse vor dem kleinen Häuschen und warte auf mein Schiff. Die Familie von der Hinfahrt sitzt neben mir am Tisch, wir nehmen offensichtlich dieselbe Fähre zurück. Natürlich. Wir kommen ins Gespräch, wie liebe ich diese Reise für diese Unkompliziertheit schon da, und der Mann erzählt, dass er lange in Deutschland gearbeitet hat, in Stuttgart. Ich helfe wieder mit beim Tragen des Rollstuhls und die drei fahren mich wie selbstverständlich in ihrem riesigen Van zurück in die Stadt, müssen dort gar nicht hin, tun es einfach so und lassen mich vorher noch Postkartenfotos schießen von dem Leuchtturm, keine Eile.

Wir sitzen eng beisammen auf der Sitzbank, quasseln ein bisschen Deutsch, scherzen , sie geben mir Tipps für die Reise, ich lasse mich an der Harpa absetzen, wir bedanken uns beieinander und verabschieden uns herzlich: "Take care! Auf Wiedersehen".

Ich betrachte die unzähligen Steinmännchen vor dem Opernhaus, wie sie konzentriert auf das Meer hinausblicken, nehme einen kleinen Kiesel und lege ihn auf eine der Skulpturen,in mir das kraftvolle Gefühl, dass meine Ventile weit offen sind und es nur so strömt.

Wenn ich richtig hinschaue.

 

Eftirmáli/ Epilog:

Ich esse einen Haferkeks auf der Mauer vor der Harpa, das wahnwitzige Spiel ihrer scheinbar Millionen Glasscheiben mit dem knalligen Sommerlicht fesselt mich, hier leuchtet es in allen Farben des Ozeans und des Himmels, ich bin wohlig eingehüllt in Blaus und Grüns und ab und zu auch Golds, höre Sigur Rós dazu und kanns gar nicht dick genug haben in diesem Moment.

Irgendwann reiße ich mich los, schlendere entlang der langgezogenen, kunterbunt trubeligen Laugavegur mit ihren Bars, Boutiquen und Cafés nach Hause. Auf Straßenschildern oder Fensterbänken stehen kleine Figürchen und spielen das Leben nach, surreale Gemälde schmücken großflächig Hauswände und Hinterhöfe, überall ist Farbe, Leben, Kunst. Der Ipod bleibt die ganze Zeit an dabei.

Ich esse auf unserem Sonnenbalkon, bereite mir Supermarkttortellini mit Supermarktpesto zu, nicht gesund, aber seelenvoll. Dazu Bananenmilch, die haben den Tag in Reykjavik offensichtlich nicht so gut weggesteckt.

Abendstimmung zieht auf, alles wird bläulicher, ruhiger, wattiger. Reykjavik in Moll. 

Ich beschließe, noch einmal für einen Absacker los zu gehen, in die Stadt, finde eine kleine Bar, in der die Einheimischen offensichtlich ihr Feierabendbier nehmen, laut quatschend an der Theke stehen oder an den schlichten Holztischen auf ihre Verabredung warten. Ich warte auf niemanden, setze mich mit dem Rücken zur Wand, schaue lange ruhig in den Laden und inhaliere das wüste Gemisch aus Weltstädtigkeit und Ursprünglichkeit, Saucoolness und Gemütlichkeit.

Spätestens beim zweiten Bier nehme ich die weit ausgestreckte Hand Reykjaviks und schlage ein: "Halló!".

 

 

 (* Die Sonne erwärmt den Boden. Das war isländisch)

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